Es ist vollbracht: Wir sind in Indien! Am vorletzten Mittwoch mittags um halb eins fahren wir über die Grenzlinie – ganz exakt 3 Monate nach unserer Abfahrt, sogar fast auf die Minute zur gleichen Uhrzeit.
An der Grenze
Wir sind schon am Dienstag nachmittag zur Grenze gefahren, allerdings zu spät, um noch rüber zu können. Zu spät mit voller Absicht, denn die Grenze wird nicht einfach so dichtgemacht, sondern mit ganz großen Brimborium allerhöchstoffiziell geschlossen. Auf beiden Seiten gibt es eine große Veranstaltung im Stil einer Wachablösung am Buckingham-Palace in London, so richtig komplett mit absurdem Paradeschritt und seltsamen Bommeln auf den Mützen. Die Veranstaltung ist sehr bekannt, es kommen jeden Tag sehr viele Zuschauer, mittlerweile wurden sogar schon große Zuschauertribünen auf beiden Seiten gebaut und es gibt eine Art Rahmenprogramm zum Vorheizen der Zuschauer: Es werden Lieder gesungen, Läufer rennen mit Fahnen zum Grenztor und machen Faxen zur jeweils anderen Seite, Allah wird gepriesen, Sprechchöre preisen das jeweils eigene Land – es geht richtig rund. Ein großer Unterschied ist allerdings die indische Farbenpracht, Männer und Frauen sitzen dort auch nicht mehr getrennt, alles ist sehr bunt. Der Gegensatz zum einheitlichen islamisch-grau-braun-schwarz auf der Männertribüne in Pakistan ist schon gewaltig.
Wir übernachten danach in unserem Wagen auf dem Parkplatz vor dem Zollhaus, nur 150m von der Grenzlinie entfernt. Es war schon etwas besonderes, diese Straße hierhin, die Straße nach Indien, zu fahren. Nur 30km von Lahore, schon waren wir an der Grenze, jetzt sind wir dem ersten großen Ziel der Reise ganz nahe: Die Bäume da drüben, das ist schon Indien. Zwei große Tore, eins auf jeder Seite. Eins in grün mit weißem Halbmond und der Aufschrift „Pakistan“, das andere orange-weiß-grün: „Indien“. Dazwischen nur ein Meter Abstand und in der Mitte eine weiße Linie auf dem Boden.
Der gesamte Grenzübergang ist winzig klein, die Tore und die Zuschauertribünen sind mit Abstand das Größte in der Gegend. Ansonsten ist er nicht viel mehr als ein kleines Zollgebäude etwas abseits der Straße, ein Tisch am Straßenrand für die Passkontrolle und eben die beiden Tore mit der weißen Linie dazwischen. Es gibt kein Niemandsland, keine großen Kontrollstellen, Zollparkplätze – nichts. Es ist kaum vorstellbar, dass das hier tatsächlich der einzige existierende Übergang von Europa und dem gesamtem mittleren Osten nach Indien ist.
Der Weg hierhin
So richtig glauben kann es allerdings noch nicht, das wir jetzt wirklich schon da sind. Wirklich stressig waren die ersten Tage bis zur Türkei, aber seitdem sind wir nur so vor uns hergedröppelt. Im Iran haben wir schon viele Umwege und Aufenthalte eingelegt und in Pakistan haben wir uns kaum noch groß bewegt. Eine Woche Quetta, 10 Tage Islamabad und eine Woche Lahore – insgesamt ein Monat im Land, aber nur sehr wenige Fahrtage. Und trotzdem sind wir jetzt hier.
Die Fahrt hierhin ist erstaunlich einfach und unexotisch, nicht komplizierter als eine Fahrt nach Italien. Einfach ins Auto setzen und losfahren, hier und da gucken, weiterfahren und irgendwann ganz plötzlich da sein. Wenn man sich an die Hauptstraßen hält, ist der Weg von Deutschland bis Indien mittlerweile durchgehend asphaltiert. Tankstellen, Werkstätten und Hotels gibt es unterwegs reichlich, Geld kommt mit der EC-Karte aus dem Automaten und das Leitungswasser ist fast überall trinkbar. Mit lateinischen Buchstaben beschriftete Straßenschilder sind ausreichend vorhanden und irgendjemand, der Englisch spricht, findet sich immer.
Man braucht keine Wahnsinnsausrüstung oder spezielle Fahrzeuge für diese Strecke. Wir haben in Islamabad eine französische Familie mit einem gewöhnlichen Wohnmobil, Typ Gardasee-Fahrer, getroffen, sie waren schon wieder auf dem Rückweg aus Indien. An der pakistanischen Grenze haben wir Werner aus Bruchsal getroffen, er war mit einem Ford Kombi unterwegs nach Bangladesh. Sein weniges Gepäck liegt lose hinten drin, er schläft auf der Ladefläche einfach daneben. Laurent und Mouna aus Frankreich machen es in ihrem Landrover ähnlich spartanisch: Fix zwei kleine Ikea-Schränke an die Wand geschraubt, ein Brett und eine Matratze als Liegefläche auf ein paar Kisten gelegt – fertig.
Echte Grenzen unterwegs
Unterwegs gab es nur zwei echte kulturelle Grenzen. Ab dem Bosperus waren wir schlagartig tief im muslimischen Bereich und an der pakistanischen Grenze hat der europäische Teil aufgehört und wir waren im tiefsten Asien angekommen.
Vor und nach diesen beiden Punkten war alles ein allmählicher Übergang, nur an diesen beiden Stellen gab es echte Brüche. Bis zum Bosperus ist alles sehr europäisch und unterscheidet sich nur in Details von Deutschland. Ab dort gibt es plötzlich Kopftücher und immer weniger Frauen auf der Straße. Je weiter östlich es in der Türkei ging, desto weniger Frauen waren zu sehen und desto weiter verschleiert waren sie. Im Iran war dann alles wieder wesentlich entspannter, lockerer und fast europäisch bis zur nächsten echten Grenze: An der pakistanischen Grenze waren wir dann schlagartig aus dem europäischen Bereich raus und sind mitten im tiefsten Asien angekommen. Von einem Moment auf den nächsten, ohne jeden Übergang, ändert sich alles. Die Laster sind quitschbunt, die Dörfer sehr runtergekommen, alles ist voll mit Esel- und Ochsenkarren und Pferdekutschen. Die Menschen sehen komplett anders und sehr wild aus, es gibt keine Frauen mehr auf der Straße und oft sieht man echte Armut. Leute, die auf Müllhalden wohnen, sind uns bisher sonst noch nirgendwo begegnet, auch in Kambodscha nicht.
Die Grenze
Pakistan und Indien sind wirklich sehr weitgehend voneinander abgeschirmt. Ein Pakistani erzählte mir, das es für Pakistanis ohne Verwandte in Indien praktisch unmöglich ist, ein Visum für diese Grenze zu bekommen, ganz so, wie damals mit der DDR, nur das es hier von beiden Seiten blockiert wird. Güterverkehr gibt es auch kaum, da Fahrzeuge beider Seiten die Grenze nicht passieren dürfen. Das wenige, was über die Grenze soll, darf nur per Hand herübergetragen werden. Um eine LKW-Ladung über die Grenze zu bekommen, wird also der LKW auf der einen Seite entladen und alle Säcke der Ladung werden Stück für Stück von einer Armee Trägern bis zur Grenzlinie gebracht und dort an Trägerkollegen übergeben. Damit die Übersicht nicht verloren geht, sind die pakistanischen Träger in rot und grün gekleidet, die indischen in blau. Sie schleppen es dann zu einem LKW auf der anderen Seite und laden alles wieder ein – so schafft man hier Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten.
Wir sind an diesem Tag das Einzige, was die Grenzer zu tun haben. Stolz erzählen sie uns, vorgestern seien sogar zwei Autos an einem einzigen Tag vorbeikommen – gestern dafür dann eben keins. Wir bekommen die Abfertigungsnummer 10/07 – immerhin ist schon der 24. Tag des Jahres. Wir dürfen etwas im Zollbuch blättern und finden dort viele Bekannte wieder, die wir unterwegs irgendwo getroffen haben. Dabei stellen wir fest, dass im gesamten Jahr 2006 genau 238 Fahrzeuge diese Grenze von Pakistan nach Indien überquert haben. Überarbeiten tut sich hier wohl niemand.
So richtig Bescheid weiß hier aber leider auch niemand. Es dauert alles sehr lange und ich habe immer wieder den Eindruck, das der jeweilige Beamte zum allerersten Mal ein Carnet in der Hand hat oder eine Fahrgestellnummer sucht. Alle Kontrollen sind aber wohl eher pro Forma, irgendetwas müssen sie ja schließlich tun, auch wenn es ihnen total egal ist. Das Innere des Autos besichtigen sie auch eher aus Neugierde denn aus Diensteifer. Irgendwann ist nach einer Stunde dann auch der Stempel gefunden, der noch gefehlt hat – oder wohl eher die Person, die weiß, wo genau er hingestempelt werden muss – und wir können weiter.
Beide Seiten waren sehr knapp und dienstlich, für Freundlichkeiten oder wenigstens ein „Guten Morgen“ blieb offenbar keine Zeit. Ein vollkommener Gegensatz zu allen anderen Grenzen seit dem Bosperus. Die Einreise nach Pakistan war schon fast peinlich freundlich, sie waren unglaublich zuvorkommend und höflich und hätten wohl noch ewig mit uns weiter geplaudert, wenn wir nicht langsam genug Tee gehabt hätten und langsam weiter wollten.
Erster Eindruck Indien
Wir fahren nur bis Amritsar, die erste größere Stadt knapp 30km hinter der Grenze und suchen unterwegs nach Unterschieden zu Pakistan, aber es tut sich nicht viel. Der Fahrstil ist nicht schlimmer, eher ruhiger. Die Menschen sehen genauso aus, die Frauen tragen auch noch viele Tücher, die Dörfer unterwegs unterscheiden sich auch kaum. In der Stadt müssen wir auch sehr genau hinsehen, um die Unterschiede zu finden, aber wir erkennen, dass es sie gibt.
Erste Unterschiede zu Pakistan
Beim genauen Hinsehen finden wir dann aber doch Unterschiede im Detail: Der Fahrstil ist ruhiger, es wird weniger gehupt, vor allem die LKW und Busse. Die Menschen sind zurückhaltender, die nervige „Hello, where do you come from, what’s your name“-Fragerei hört auf. Wir können einfach so in aller Ruhe durch die Stadt schlendern, ohne ständig angesprochen zu werden. Wenn ich aussteige und nach dem Weg fragen will kommen nicht gleich ganze Gruppen auf mich zu, sondern ich kann in aller Ruhe auf jemanden zugehen. Die Leute sind höflicher. Die Rickscha-Fahrer und die Hoteliers nennen von sich aus schon realistische Preise, das Essen ist weniger scharf, weniger fettig und für uns bekömmlicher. Es gibt wesentlich weniger Bettler. Die Häuser sind sehr viel gepflegter, die Straßen sehr viel sauberer. Und nicht zuletzt: Es gibt Bier zu kaufen!
Insgesamt sind wir sehr überrascht. Abgesehen von der Sache mit dem Bier hatten wir in allen Punkten mit genau dem Gegenteil gerechnet. Also entweder ist (Indisch-)Punjab die große Ausnahme in Indien oder die Leute, die über Dreck und Lärm klagen, waren noch nicht in Pakistan. Wir werden sehen.