Sabaidi!
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- Ein Bus ist nie voll
Zum voraussichtlich letzten Mal auf Laotisch, morgen abend geht es dann nach Thailand. Wir sind gerade wieder in Vientienne angekommen, mit dem Direktbus von Phonsavannh: ca. 390 km an einem einzigen Tag, unserer neuer Laos-Fernreiserekord. Der Bus hat dafür auch satte 10 Stunden gebraucht, incl. der chaosbedingenten Verspätung in Phonsavannh und der Tuktuk-Odysee durch Vientienne waren wir knapp 12 Stunden unterwegs. Und es waren eindeutig die härtesten 12 Busstunden, die wir je hatten. Lieber 24 Stunden mit dem vietnamesischen Open-Bus als 12 Stunden mit einem völlig überfüllten laotischen Regionalbus über die Nationalstraße 7! Die Straße 7 nach Phonsavannh ist einfach unglaublich. Ich glaube, ich bin in meinem gesamten Leben noch nicht so viele Kurven gefahren wie heute auf den ersten 135km bis zur Einmündung in die Straße 13. Die Straße schlängelt sich in einer Höhe zwischen 1000 und 1500m durch ein wirklich heftiges Gebirge mit enorm tief eingeschnitten Tälern, immer hart am Abgrund entlang. In Frankreich kann man entlang vieler Strecken oft noch die alte Straße aus den Anfangstagen der Motorisierung erkennen, die wirklich jeden Felsen einzeln umkurvt und jeden kleinen Bach als vollen Taleinschnitt mitnimmt. Exakt so müsst ihr euch die Straße 7 vorstellen: Eine Aneinanderreihung von 180 bis 270 Grad-Kurven, das ganze natürlich einspurig. Oft sind die Felsvorsprünge so spitz, dass bei einer 180 Grad Kurve der Radius selbst nach laotischen Maßstäben zu klein wäre, deshalb hat man zur Spaßverbesserung noch einen Schlenker eingebaut und das Gesamtensemble zu einer 270-Grad-Kurve veredelt. Und noch eine. Und noch eine. Ca. 80km der 135 km bestehen wirklich buchstäblich nur aus Kurven, es gibt keinen halbwegs geraden Abschnitt von mehr als 50m Länge, dazu gab es dann inclusive eine spektakuläre Aussicht nach der nächsten. Dumm nur, dass der Bus mit mehr als 60 Leuten im inneren (6 pro Reihe, 10 offizielle Reihen, ein paar Leute dazwischen) und nochmal 5 oder 10 Leuten auf dem Dach ziemlich gut gefüllt war und etliche von denen wohl das Kurvenfahren nicht so besonders gut vertragen haben. Der Fahrer kannte das Problem scheinbar und hat vorsorglich alle zwei Reihen links und rechts jeweils Tüten mit reichlich Spucktüten aufgehängt, die dann auch eifrig benutzt wurden. Bewegungsfreiheit während der Fahrt war gleich Null; als mein Fuß anfing zu jucken, ist es mir nicht gelungen, ihn zu kratzen. Insgesamt recht hartes Brot, vielleicht sollten wir beim nächsten Mal doch eher fliegen. Aber wo bleibt denn da der Spaß?
Sagen und Legenden
Der Aufenthalt in Phonsavannh war insgesamt kurz, aber extrem heftig. Es war einer von den fünf oder zehn Tagen im Leben, die man wohl nie wieder vergessen wird. Wir hatten uns für eine kleine Tour zu der touristischen Hauptattraktion der Gegend, den Tonkrügen, und zu einigen Kriegsüberbleibseln entschieden und zusammen mit zwei anderen Päärchen, einem Führer und einem Fahrer ging es los. Der Führer war sehr gesprächig und sehr witzig, er hat sehr viel über die Krüge und noch viel mehr über den Krieg und die Erlebnisse seines Großvaters erzählt. Und zwischendurch erwähnt, er hätte sein Englisch ja von den letzten amerikanischen Kriegsgefangenen in dem Geheimlager der Vietnamesen in der Gegend gelernt, mittlerweise sind die Jungs von in den fünfzigern, gerade letzte Woche war er noch dort. Und von seinem Onkel, dem ersten Präsidenten des kommunistischen Laos. Und von seinem Buch über die Suche nach dem in einem Umerziehungslager der Kommunisten „verschollenen“ letzten König von Laos, das unter dem Namen einen amerikanischen Autors erschienen ist, damit es sich besser verkauft. Und von seiner Zeit als Kredithai, als er Firmen „Privatkredite“ zu 10% pro Monat vermittelt hat. Und wie er das Gold aus den Elektronik-Steckern in einer russischen Kaserne geklaut hat. Und von den Problemen und Lösungen bei der Ersatzteilbeschaffung für die letzten laotischen MIG-21, und dass man für 300$ auch mal mitfliegen darf, was man aber wegen der Ersatzteilproblematik wohl besser bleiben lässt. Und, und, und… Nicht alle Geschichten waren so offensichtlicher Quatsch, ich weiss bis jetzt noch nicht, was ich davon glauben darf und was nicht, aber es war ein lustiger Tag.
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- 20 oder 2000 Jahre alt?
Entdeckungen
Wir haben auch noch das geheime Hauptquartier, die „versteckte Stadt“, der Pantet Lao gesehen, eine ehemalige Krankenstation des Vietcong in einer Höhle und ein paar andere Reste und Wracks. Und dann ging es eine ziemlich steile Kraxelstrecke in eine sehr abgelegene kleine Höhle mit sehr außergewöhnlichem Inhalt. In dieser Höhle liegen ein paar scheinbar sehr, sehr alte Särge mit unvollständigen menschlichen Skeletten innendrin. Die Särge sind aus einem Stück gearbeitet, ungefähr wie ein Einbaum-Kanu, sollten also wohl wirklich sehr alt sein. Die gesamte Atmosphäre war wie frisch aus einem Indianer-Jones-Film, so richtig mit verstaubten Skeletten, Abendsonne, Spinnenweben in der Höhle, viel Wald drumrum und einem Skorpion unterwegs, der den Aufstieg zur Höhle bewacht – zumindest bis ihn Milan mit der Machete auf den Baum nebenan umgesiedelt hatte.
Unser (fast uneingeschränkt glaubwürdiger 😉 Führer gab ein Alter von 2500 Jahren an, allerdings bezweifele ich, dass sich Holz hier so lange halten kann, auch in so geschützter Lage. Andererseits sah die Augenpartie der Schädel nicht so aus, wie die heutiger Menschen, sondern hatte wesentlich stärkere Augenwülste, es wirkte sehr alt. Ich würde die Bilder gerne mal einem Archäologen zeigen und den auch mal fragen, ob diese Fundstelle überhaupt offiziell bekannt ist. Wir haben uns jedenfalls eher wie Grabräuber gefühlt, die dabei sind, eine wichtige Fundstelle zu zerstören. Wir waren nicht die ersten in der Höhle, es gab wohl nichts mehr durcheinanderzubringen, die Knochen und Särge lagen ganz offensichtlich nicht an ihren ursprünglichen Positionen, aber trotzdem. Diese Dinge gehören in ein Museum.
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- alles aus Munitionsresten gebaut
Kriegsreste
Außerdem gab es dann noch jede Menge Kriegsschrott zu sehen. In dieser Gegend finden sich in fast jedem Haus irgendwo umgewidmete Waffen und Kriegsschrott, es ist hier die Hauptrohstoffquelle. Auf einem Schrottplatz konnten wir alles einmal gesammelt bewundern, abends gab es dann noch ein Dorf zu sehen, in dem fast alle Zäune und viele Gebäude aus Munitionsteilen bestehen. Ställe aus Flugzeugblechen, Futtertröge aus den Hüllen der Clusterbomben, Artilleriegeschosshülsen als Fundamentsäulen, Verpackungshülsen von Luftabwehrraketen als Zaunpfosten. Und ein paar Kinder aus dem Dorf erzählen uns ganz begeistert, sie hätten gerade gestern noch ein großes Flugzeugteil gefunden, ob wir das nicht mal sehen wollen. Klar wollen wir, wir erwarten eine Tür oder Landeklappe in irgendeinem Busch hinter dem Dorf.
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- Basuka-Hülsen zu Zaunpfosten
Aber hinter dem Dorf liegt ein regelrechtes Grabungsareal, die Kinder buddeln in der Erde auf der Suche nach Metallresten. Die gesamte Gegend ist übersäht mit ihren Fundstücken: Mörsergranaten, Flakgeschosse, Bombletts verschiedener Bauarten aus den Clusterbomben, Minen aller Art, diverse Granaten und aus einem Loch grinst uns eine gerade frisch entdeckte 250-Pfund-Bombe mit dem Zünder voraus an. Alles Blindgänger, alles scharf und vieles davon stark angerostet und/oder durch den Aufprall deformiert. Wir haben auf die weitere Besichtigung verzichtet, das Gelände sofort fluchtartig in Richtung Dorf verlassen und den Kindern und dem Rest der Gruppe, der tatsächlich stur weitergegangen ist, aus weiter Entfernung zugesehen. „Dort nicht hintreten, diesen Busch nicht anfassen“ war alles, was den Kindern zu der Situation dort hinten eingefallen ist, den anderen der Gruppe war das Sicherheit genug.
Unglaublich genug, aber die Kinder konnten es noch steigern. Sie machen sich einen Spaß daraus, die Zünder aus einigen der Granaten herauszupfrimeln (natürlich ohne geeignetes Werkzeug, eine Machete ist für alles zu gebrauchen) und zu kleinen Mini-Raketen umzubauen. Ein kleiner (Bambus-) Leitstab, von Hand mit dem Feuerzeug gezündet und schon steigt das ganze fast zehn Meter hoch. Sieht toll aus, auch (gerade?) aus der Entfernung. Der Flammen- und Rauchfarbe nach scheint es sich um einen Zünder auf Clorat-Basis zu handeln. Clorate sind schlagempfindliche Kristalle, die in wässriger Lösung früher auch gerne als Unkrautvernichter eingesetzt wurden (Schöne Grüße aus der Unkraut-Ex-Zeit…). Kleine Kristalle sind recht stabil und einigermaßen harmlos, bei passender Temperatur und Feuchtigkeit neigen sie aber zur Umkristallisation und bilden große, extrem sensible Kristalle, die auch gerne einmal spontan zerfallen, also explodieren. Und mit diesem Zeug, dessen Zustand von außen unmöglich zu erkennen ist, spielen die Kinder, die Eltern nehmen es zur Kenntnis und der Rest unserer Gruppe steht begeistert drumrum. Ich weiss nicht, wie ich dieses Gefühl nennen soll, das ich seitdem habe. Erschüttert, Entsetzt, Erschrocken, Fassungslos – es trifft es alles nicht. Was wir dort gesehen haben, geht so unglaublich weit über meine Vorstellungen hinaus – wie soll ich es beschreiben?
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- Kokeln mit scharfer Munition
In allen Ländern in der Gegend hier gibt es jedes Jahr ein paar Hundert Tote durch Blindgänger. Ich hatte mir immer vorgestellt, ein Bauer würde zufällig mit dem Pflug irgendwas altes erwischen – Bumm. Das ist dann einfach großes Pech, da konnte er wirklich nichts machen, es hat ihn einfach erwischt. Aber soetwas wie in diesem Dorf? Unvorstellbar. Niemand kann freiwillig so ein Zeug suchen und dann auch noch damit spielen, soviel Unwissen kann es einfach nicht geben. Und es gibt es doch. Die machen das, nicht nur in diesem einen Dorf, schon seit 30 Jahren so. Es muss doch in jedem Dorf schon viele Unfälle gegeben haben, da müssten doch wenigstens die Eltern langsam mitbekommen haben, wie ernst die Lage ist. Aber es interessiert hier einfach niemanden! Es gibt überall, auch in diesem Dorf, ausführliche Infotafeln zum richtigen Umgang mit Blindgängern und Minen, schön als Comic gemacht, damit es auch die 50% verstehen können, die kein Laotisch sprechen und/oder lesen können. Und es interessiert einfach keine Sau. Wie kann das sein?
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- vergammelte kleine Mine: hier nicht hintreten!
Und wie kann es sein, dass die anderen vier aus unserer Gruppe, alle Anfang zwanzig, alle haben eine ordentliche Schule besucht, dort mitgegangen sind? Abends beim Lau Lao habe ich zweien davon auch ein wenig von meiner Knaller- und Raketenbastelzeit erzählt, vor allem von den Dingen, die nicht so gelaufen sind, wie sie sollten. Ich war damals aber mit den Mengen entsprechend vorsichtig, so dass nichts passiert ist. Ich hatte mich auf ein paar Milligramm beschränkt, hier aber lagen hunderte Kilogramm davon herum, noch dazu in unvorhersehbarem Zustand. Nach ein paar Anekdoten und etwas Chemie zwischendurch waren die beiden dann auch sehr erschrocken, was sie an diesem Tag getan haben und meinten, wenn sie gewusst hätten, das die Dinger auch ohne Grund hochgehen können, wären sie wohl auch im Dorf geblieben. Ja wo leben die denn? Das ist doch wohl eine Sache des gesunden Menschenverstandes und nicht des Chemiewissens, oder? Oder würdet ihr selenruhig in 10cm Abstand an vollkommen durchgerosteten Splitterminen vorbeilaufen, die Kinder vor ein paar Tagen aus der Erde geklaubt haben und die jetzt irgendwo verstreut rumliegen? Und würde euch der Kommentar „Dort nicht drauftreten!“ als Sicherheit genügen? Wie kann man so naiv sein?
Ich weiß nicht, was ich jetzt bin. Fassungslos reicht jedenfalls nicht.
Wir wissen jetzt jedenfalls sehr genau, wie extrem eng wir den Rat, die ausgetretenen Wege an ehemaligen Kriegsschauplätzen niemals zu verlassen, nehmen müssen. Und wir wissen jetzt, woran man ein gefährliches Gebiet erkennen kann, worauf man achten muss, und wie die Dinger im Graß aussehen. Wenigstens etwas Gutes also, obwohl ich dieses Wissen lieber auf einem präparierten Trainingsgelände mit entschärften, leeren Hülsen erworben hätte.
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- unser verrückter Ire
Nach diesem schockierenden Teil des Tages gab es im Haus einer Familie im Dorf noch reichlich Lau Lao, diesen selbstgebrannten Reisschnaps, den hier scheinbar jeder herstellt und den auch jeder reichlich trinkt. Der Abend war jedenfalls extrem lustig und die Bilder sind auch sehr gelungen 🙂
Puh, das musste ich einfach mal loswerden. Ich habe immer noch dieses Gefühl ohne Namen, ich hoffe, dass es bald nachlässt. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir sofort aus der Gefahrenzone verschwunden sind, auch wenn tatsächlich nichts passiert ist. Morgen nachmittag fährt unser Bus nach Bangkok (der nächste 12-Stunden-Ritt) und mitte der Woche wollen wir dann weiter in Richtung Thailands Süden (und wieder 12 Stunden im Bus…)
Falls jemand von euch einen Archäologen kennt, schickt mir doch bitte mal seine Adresse. Ich würde ihn wirklich gerne mal ansprechen.
Also bis dann, Michael