’n Abend!
Wir sind im Paradies angekommen (glaube ich jedenfalls). Hier gibt es richtig leckeres Eis, Cornetto Erdbeer! Und Mülleimer, um das Papier hineinzuwerfen. Und sogar Taschentücher. Wenn es sein soll, sogar die echten von Tempo. Und, der Oberhammer, es gibt Asphalt. In riesigen Mengen und unglaublich gleichmässig verteilt. So gleichmäßig, dass unser Bus heute die letzten 80km in gerade einmal eineinhalb Stunden geschafft hat, es ist der Wahnsinn! Aber der Reihe nach:
Moppeddfaahn!
Seit der letzten Mail hat sich hier bei uns sehr viel getan und wir sind wieder etwas rumgekommen. Wir haben uns ein Moped gemietet und sind damit von Phnom Penh aus in Richtung Süden an die Küste nach Kampot gefahren. Oder nein, kein Moped, sondern dieses Mal ein richtig schönes Gelände-Motorrad, eine von diesen 250ccm Hondas, um damit einmal die sagenhaften Straßenverhältnisse in der kambodschanischen Provinz auszuprobieren. Der große Haken bei der Aktion war allerdings, dass der Motorradverleih mitten in der Innenstadt war und ich also als allererstes durch den Stadtverkehr nach draußen musste. Aber erstaunlicherweise hat es tatsächlich problemlos funktioniert! Ich war zwar nach diesen ersten 10km mit den Nerven am Ende, aber es hat weder Verletzte noch Blechschäden und noch nicht einmal Vollbremsungen gegeben. Sowohl die Sache mit den Nerven als auch die Tatsache, dass es trotzdem geklappt hat, hängen eindeutig mit den kambodschanischen Verkehrsregeln zusammen. Ich bin überzeugt, dass es mir in Deutschland nicht möglich gewesen wäre, als Motorrad-Fahranfänger problemfrei durch den Berufsverkehr aus der Innenstadt von z.B. Köln herauszukommen. Beim ersten Verschalter hätte es einen riesigen Aufstand gegeben.
Ich versuche hier mal, die wichtigsten Regeln kurz zu erklären:
1. Vorfahrtsregeln für Profis
Der kambodschanische Fahrstil unterscheidet sich natürlich extrem von dem, was wir aus Mitteleuropa so kennen. Es ist nicht so, dass es keine Vorfahrtsregeln gibt. Sie sind nur grundsätzlich anders als unsere. Die Vorfahrsreihenfolge ergibt sich aus mehreren Faktoren wie z.B. der Größe des Fahrzeugs und der Stärke des Motors und natürlich, am wichtigsten, der Lautstärke und Penetranz der Hupe. Zusätzlich zählt dann noch Schnelligkeit, denn wer als erster auf die Hupe drückt, sammelt Bonuspunkte und kann so die natürliche Reihenfolge zu seinen Gunsten beeinflussen.
Dieses Getute und Gedrängel sieht auf den ersten Blick recht gefährlich aus, spielt sich aber bei geringen Geschwindigkeiten und hoher gegenseitiger Fehlertoleranz ab, so dass trotzdem nichts passiert, selbst wenn man einfach blind über eine Kreuzung fährt (natürlich vorausgesetzt, dass die Hupe die ganze Zeit über auf das eigene vorsätzliche Fehlverhalten aufmerksam macht und es so vom Affront zum natürlichen Recht des Lauteren adelt)
2. Linksabbiegen für Profis
In der Umgebung von Kreuzungen wird die Konzentration, besonders die der Fußgänger, zusätzlich noch durch „hängengebliebene“ Linksabbieger stark gefordert. Ein kambodschanischer Linksabbieger käme niemals auf den Gedanken, wegen einer Kleinigkeit wie einer hoffnungslos verstopften Kreuzung oder auch nur einer einfachen roten Ampel anzuhalten. Der Geradeausverkehr stoppt ja auch nicht, warum sollte er das also tun? Der Linksabbieger wird natürlich logischerweise umgehend links abbiegen und solange auf der linken Seite der Gegenfahrspur unterwegs sein, bis sich eine Gelegenheit ergibt, zwischen den vielen entgegenkommenden Mopeds hindurch etwas Boden hin zu der ersehnten rechten Fahrspur gut zu machen und wenigstens schon einmal in die Mitte der Gegenfahrspur aufzurücken. Irgendwann später wird es dann sicher auch möglich sein, den (imaginären) Mittelstreifen zu überqueren und ab dann unauffällig in der Masse mitzuschwimmen.
Dieses Verhalten fördert zwar den flüssigen Verkehrsverlauf sehr, führt aber leider auch dazu, dass man immer und jederzeit mit Verkehr aus allen Richtungen rechnen muss. Die einfache Fußgängerregel, erst links und später dann rechts zu gucken, genügt auf keinen Fall, ein 360 Grad-Rundumblick ist erste Pflicht.
3. Überholen für Profis
Überholen ist dann aber wieder ganz einfach. Fährt der Vordermann zu langsam, drücke ein paarmal auf die Hupe und überhole. Die anderen werden schon sehen, wo sie bleiben. Die Hupe ist dabei vor engen Kurven oder Hügelkuppen natürlich besonders wichtig, da man ja schließlich nicht erkennen kann, ob dahinter jemand im Weg steht.
Für den Gegenverkehr ist es dabei immer erste Pflicht, auf die andere Fahrspur zu achten und rechtzeitig auf den Randstreifen oder in das Gelände neben der Straße auszuweichen, um den gleichmäßigen Fluss nicht zu stören. Und erstaunlicherweise klappt das sogar sehr gut. Meistens sind die Fahrer so rücksichtsvoll, nur dann zu überholen, wenn der Gegenverkehr ohne abzubremsen ausweichen kann; jemanden bei voller Fahrt vor die Wahl eines zehn Zentimeter tiefen Schlaglochs oder einer Sandstrecke rechts der Straße zu stellen, gilt offenbar als äußerst unfein und kommt fast nie vor. Und falls ausweichen tatsächlich einmal nicht möglich sein sollte, gibt es ja noch die Hupe, um sich darüber zu einigen, wer jetzt abbremsen muß.
Insgesamt ein erstaunlich einfaches System, das auch in der Hauptverkehrszeit jederzeit einen gleichmäßigen Verkehrsfluss ohne Staus und ohne Ampeln erlaubt. Sowohl auf dem Weg aus der Stadt raus als auch später auf dem Weg zurück habe ich jeweils nur ein einziges Mal kurz anhalten müssen (übrigens beide Male an einer Ampel. Alle anderen Kreuzungen laufen glatt durch). Und es läuft immer gleichmäßig mit 20 bis 30 km/h, Rasereien sind tagsüber nicht möglich und auch nachts nicht üblich. Was die Geschwindigkeit innerhalb der Stadt angeht, verhalten sich die Fahrer wirklich sehr zurückhaltend. Immer nur die angemessene Geschwindigkeit, nie schneller.
Ein ganz anderes Problem auf der Tour war allerdings die Orientierung. Es gibt hier keinerlei Land- oder Straßenkarten. Das einzige Material, was mir zu Verfügung stand, war die Übersichtskarte im Umschlag des Reiseführers im Maßstab 1:zigmillionen, die praktisch nur die Nationalstraßen (Rue National, wie in Frankreich) enthält. Ich hatte Bedenken, es könnte schwierig werden, die Straßenschilder zu lesen, da ich leider die Khmer-Schrift nicht lesen kann. Aber die Sorge war grundlos, denn es gibt einfach keinerlei Beschilderung. Nichteinmal eine einfache Straßennummer am Rand ist vorhanden. Also sind wir dann auch prompt einmal falsch abgebogen und auf einer sehr spaßigen Geländestrecke gelandet. Wie sich hinterher herausstellte, war es eine große Nebenstraße, also ungefähr ein Äquivalent zu einer deutschen Landstraße. Je nach Perspektive bestand die Piste entweder aus einer Reihe von 10cm tiefen Schlaglöchern im Sand-Schotter-Gemenge oder aus einer Reihe von Bodenwellen und -erhöhungen auf der Oberfläche. Jedenfalls wurde mir dabei langsam klar, was in den zahlreichen anderen Reiseberichten mit „erbärmlichen Straßenverhältnissen“ gemeint war und warum man mich beim Motorradverleih ausgelacht hat, als ich durchblicken ließ, ich wollte mit mit einem 125er Motorroller nach Kampot fahren. Es war wirklich ein guter Rat, mir die 250er mit Wahnsinns-Federbeinen aufzunötigen.
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- Tempelfest irgendwo im nirgendwo
Dorffest
Nach einer Weile dämmerte uns jedenfalls unser Fehler. Auf einem Dorffest an der Strecke (Grundsteinlegung für eine Tempelerweiterung oder so) fand sich dann auch tatsächlich jemand, der ein passables Englisch sprach und uns den ganzen Weg nach Phnom Penh zurückschickte. Vorher wurden wir allerdings auf dem Fest noch zum Essen eingeladen und von allen Leuten wie Aliens bestaunt. Vermutlich sind wir die ersten Ausländer, die jemals in dieser Gegend auf einer Feier aufgetaucht sind. Unseren Besuch dort muss man sich jedenfalls ungefähr wie einen Besuch der königlichen Familie auf dem Dorf vorstellen. Uns wurde ein Tisch in der Mitte des Essbereichs vorbereitet und wir wurden aufmerksam von mindestens hundert Leuten im Umkreis beim Essen beobachtet. Mir hat es recht gut geschmeckt (es gab eine Art Bohneneintopf mit Reis und Schweinefleisch), Maria war nicht so begeistert, aber stehenlassen ging in dieser Situation ja auch schlecht. Außerdem hatten wir großen Hunger.
Nach dem Essen gaben wir dann noch eine Audienz auf dem kleinen Jahrmarkt und wurden von unserem Dolmetscher auf einen Rundgang geführt. Überall waren wir die Sensation und die Leute haben sich ein Loch in den Bauch gefreut, als Maria einen kleinen Armreif gekauft hat.
Der Stand mit den speziellen Knabbersachen wurde uns glücklicherweise nur spaßeshalber gezeigt: Es war allen klar, dass wir wohl keinen Hunger mehr auf frittierte Käfer oder Engerlinge haben werden. Schließlich hatten wir ja gerade erst zu Mittag gegessen.
Nach dem Essen ging es dann den Weg zurück und auf der richtigen Straße problemlos weiter mit einigen Besichtigungen unterwegs. Am nächsten Tag haben wir uns dann noch einmal etwas verfahren, es aber deutlich früher gemerkt und waren am Nachmittag dann in Kampot. Wir haben also für eine (geplante) Strecke von 150km 1,5 Tage benötigt. Gut, was?
Der Rückweg lief dann problemlos ohne „Abstecher“, wir haben die RN3 gewählt, die mit Abstand beste Straße in der ganzen Gegend. Diesmal haben wir die 150km in nur 6 Stunden abgespult. Dabei haben wir gut 1,5 Stunden Pause gemacht, so dass nur 4,5 Stunden reine Fahrzeit bleiben und wir einen Schnitt von über 30km/h geschafft haben. Ein ordentlicher Wert für einen Ausländer, ein Einheimischer schafft es auch in drei Stunden. Der Zug (fährt jeden zweiten Tag) braucht übrigens für die Strecke offiziell 9 Stunden, praktisch oft 12 bis 16. Kostet dafür aber auch nur weniger als einen Dollar.
Die Zeit in Kampot selbst war dann recht ruhig. Wir waren im Bokor-Nationalpark und haben ein paar sehr schöne Bilder einer alten Geisterstadt in den Wolken gemacht. Dort oben (auf 800m) stauen sich fast immer die Wolken. Es war eine sehr eigene Atmosphäre, bei gut 28 Grad Lufttemperatur in dichtem Nebel mit Sichtweiten von unter zehn Metern zu versinken und um sich herum nicht mehr zu sehen als grau und dann nach einigen Sekunden wieder von der prallen Sonne gebraten zu werden. Auch der Wald wirkte durch die Nebelschwaden ganz anders als sonst.
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- Unterwegs nach Bokor
Unterwegs nach Bokor
Die Strecke dort hoch ist übrigens das perfekte Gelände für Hardcore-Mountainbiker. Rundrum wunderschöner, superdichter Wald mit vielen, vielen Vögeln und anderen Geräuschen und eine unglaubliche Piste. Ungefähr wie ein schlecht gepflegter Wanderweg in Frankreich, extrem steinig und uneben. Von der ehemaligen Asphaltierung sind nur noch kleine Reste erhalten, die das Schaukeln noch schlimmer machen. Mit einem großen Gelände-Pickup mit Allradantrieb hat der einheimische Fahrer immer noch knapp 2 Stunden für die 800 Höhenmeter gebraucht, obwohl er seinen Wagen (und uns auf der Ladefläche) schon sehr gequält hat. Wenn diese Strecke einmal neu asphaltiert sein sollte, würde ich sie wirklich gerne mit dem Rad hochfahren.
Schluss für heute
In diesem Internetcafe hier in Saigon werden übrigens langsam die Lichter ausgemacht. Es ist schon halb zwölf und ich bin noch ziemlich geschafft von der Fahrt heute von Phnom Penh nach Saigon. Wir wurden heute morgen um 6:20h abgeholt und waren dann heute abend um 18:45h endlich auf unseren neuen Zimmer in einer kleinen Seitenstrasse angekommen. Ich bin nicht sicher, ob es insgesamt 400 oder eher 500km Strecke waren, aber Reisen braucht hier so seine Zeit…
Vielleicht schreibe ich morgen noch weiter, mal sehen wie wir dann so drauf sind. Es steht noch der Dauerbrenner „Frauen können nicht fahren“ auf dem Programm…
Also vielleicht bis morgen,
Michael (und in Vertretung auch für Maria)